Oktober 2010 bis Mai 2011 „fall netz“ im kleinen theater.haus der freien szene

Macht|schule|theater 2011

kleines theater.haus der freien szene (Salzburg) in Zusammenarbeit mit der österreichweiten Theaterinitiative „Macht|schule|theater“ und der Initiative „Weiße Feder – gemeinsam gegen Gewalt“, den Schulen NMS Nonntal und BG Seekirchen.

fall netz

40 SchülerInnen der NMS Nonntal und des BG Seekirchen und deren LehrerInnen gemeinsam mit Elisabeth Nelhiebel und Caroline Richards im kleinen theater.haus der freien szene Salzburg und im Emailwerk, Seekirchen.

Arbeitsbeginn mit den SchülerInnen: Oktober 2010

Stücktext „fertig“: Anfang Jänner 2011

Intensivprobenwochen: 7. bis 11. Februar 2011 und 11. bis 15. April 2011

Endproben: 26. und 27. April 2011

Premiere: 28. April 2011, 10.00 im kleinen theater

Vorstellungen: 5 im kleinen theater (28.4. – 30.4.), 5 im Emailwerk (2.5. – 4.5.)

Dialogveranstaltung im Rahmen der „Aktionstage Politische Bildung“: am 4. Mai nach der Vormittagsvorstellung, beteiligt daran: alle SchülerInnen auf der Bühne, DSA Mag. Thomas Schuster, Verein Spektrum als Moderator, Priv. Doz. Dr. Christoph Kühberger, Vizerektor Pädagogische Hochschule Salzburg, DSA Harald Brandner, Geschäftsführer Stellvertreter Akzente Salzburg, Mag. Barbara Leiblfinger-Prömmer, Kinder- und Jugendanwaltschaft Salzburg

Künstlerische Beteiligte: Elisabeth Nelhiebel, Caroline Richards (Regie, Schauspieltraining), Anne Buffetrille (Kostüme), Axel Müller (Musik), Michael Uitz (Video)

Videodokumentation

Fotos

Das war Macht|schule|theater 2011:

Im Mai 2010 wurden wir durch einen Seite Drei – Artikel in der Süddeutschen Zeitung auf die Cybermobbing – Problematik aufmerksam gemacht: mittlerweile gingen die – allseits bekannten – Gemeinheiten zwischen SchülerInnen so weit, dass in der Öffentlichkeit und gleichzeitig Anonymität des Internets  häufig für die Betroffenen kein anderer Ausweg mehr als der Selbstmord gesehen werde. Und es würden immer mehr solche Opfer bekannt, hauptsächlich in den USA oder in England, aber auch schon in Deutschland, vermutlich auch in Österreich. Nun kennt dieses Gemeinheiten-anderer-ausgesetzt-sein (neudeutsch: Mobbing) vermutlich jede/r von uns. Je intensiver die Auseinandersetzung mit diesem Thema stattfand, desto mehr erinnerte man sich an die eigene Schulzeit und an die Verletzungen, die man sich gegenseitig zuführte oder denen man ausgesetzt war. Keine schönen Erfahrungen. Umso mehr war es uns wichtig von diesen menschlich-tierischen Grenzbereichen zu erzählen.

Die zwei Schulen, mit denen wir arbeiten wollten (NMS Nonntal und BG Seekirchen), waren schnell gefunden, und dass wir uns bereits im Juni mit den beteiligten LehrerInnen treffen konnten, und diese noch vor den Ferien erfahren haben, was auf sie und die SchülerInnen im nächsten Halbjahr zukommt, war positiv für die Planung der Projektarbeit in den Schulen.

Trotzdem stellte uns die absichtlich gewählte Tatsache, dass wir mit einer Stadt- und einer Landschule arbeiten wollten, die völlig unterschiedliche Unterrichtseinheiten und –Formen haben, vor logistische Höchstleistungen. Problematisch war dabei vor allem, dass wir mit einer Klasse (die 2B der NMS Nonntal) und mit einer Bühnenspielgruppe (SchülerInnen aus mindestens sieben Klassen des BG Seekirchen) arbeiteten, was uns die Zusammenführung der zwei Gruppen erschwerte. In der NMS waren die beiden Intensivprobenwochen als Projektwochen deklariert. Im BG war diese Vorgehensweise nicht möglich. Die SchülerInnen nutzten teilweise ihre Freizeit um am Nachmittag im kleinen theater gemeinsam mit „den Nonntalern“ proben zu können. Aber auch Nonntaler SchülerInnen wurden zum Arbeiten mit „den Seekirchnern“ in deren Schule gebracht.

Das Stück haben wir in Modulen zusammengesetzt, was die Arbeit zumindest mental deutlich erleichterte. Wir wussten, dass wir schließlich „nur mehr“ die Szenen zusammen fügen müssen. Das erschien uns logistisch gesehen einfacher, als bedingt durch die Probenarbeit ständig in der Chronologie einer Geschichte springen zu müssen. Im Gegenteil: Das In-der-Chronologie-Springen haben wir dann zur Kunstform des Stücks ernannt.

Zuerst ging es aber darum die SchülerInnen kennen zu lernen:

IN DER NMS NONNTAL trafen wir auf 23 SchülerInnen mit den unterschiedlichsten (Migrations-) Hintergründen, die ebenso unterschiedlichste Erfahrungen mit Theater hatten. In der Volksschule waren sie hauptsächlich im Marionettentheater (haben das als „Oper“ bezeichnet) und einige in den großen Weihnachtsmärchen im Schauspielhaus oder Landestheater in Salzburg. Bis auf drei Schüler hatten alle sehr große Lust Theater zu spielen. Die drei Burschen haben gleich zu Beginn klar gemacht, dass sie auf keinen Fall auf die Bühne wollen, eher hinter die Bühne, die „Lichter“ betätigen oder „in die Kulissen“. Elisabeth hat ihnen prophezeit, dass sie eventuell im Laufe der Zeit doch noch auf die Bühne wollen, und tatsächlich, alle waren schließlich oben, keiner dahinter. Sie wurden aber zu Beginn der intensiven Arbeit mit der Produktion des making-of-Videos betraut, was sie als große Ehre betrachteten und daher mit viel Eifer bewerkstelligten. Irgendwann wurde ihnen das aber zu blöd und wir haben ihnen – mit Unterstützung der Klassenvorständin – nahe gelegt, vielleicht die Seiten zu wechseln und doch mit ihren Kollegen mit zu spielen. Und das war ihnen dann auch sehr recht. Alex hat auch auf der Bühne die Rolle des Kameramanns übernommen, was ihn sehr stolz gemacht hat.

Die anderen haben von ihren Erfolgen auf der Bühne berichtet, davon, dass sie „eigentlich immer die Hauptrolle gespielt“ haben, dass sie grundsätzlich „sehr gerne auf der Bühne stehen“, dass sie gerne singen, im Bauerntheater in Puch spielen, englisch auf der Bühne gesprochen haben… Von Anfang an war klar, dass diese Gruppe mit viel Neugier und Offenheit an diese Arbeit heran gehen würde. Dafür wurden die drei (Schul-) Stunden Kreativwerkstatt verwendet, in denen normalerweise eine Kombination aus Deutschunterricht, Bildnerischer und Musikalischer Erziehung stattfindet. In diesem ersten Halbjahr sollte Theater gemacht werden. In einem Elternabend konnten die Eltern Caroline und Elisabeth und das Projekt kennenlernen und der, weil in seiner Schule Macht/schule/theater stattfindet, glückliche Direktor stand voll hinter dem Projekt.

IM BG SEEKIRCHEN sah die Sache folgendermaßen aus: Erstens ist in der Schule das Thema Cyber-Mobbing im Herbst sehr aktuell gewesen. Im Jahr zuvor hatte es einen Fall von „Happy Slapping“ an der Schule gegeben und ein Schüler wurde danach der Schule verwiesen. Die Schüler kannten den Betroffenen und waren daher voller Erfahrungen, Meinungen und Ideen zu diesem Thema.

Zweitens wurde intensiv mit verschiedenen Projekten an der Schule versucht eine Bewusstheit für das Thema Cybermobbing zu entwickeln.

Des Weiteren sind die 17 Schüler als geschlossene Bühnenspielgruppe bestehend aus Klassen vom ersten bis zum fünften Schuljahr fast schon „Bühnenprofis“ gewesen. Sie haben teilweise schon vier Jahre in dieser Bühnenspielgruppe unter der Leitung von Lehrer und Theatermacher Wolf Junger zusammengearbeitet, und jedes Jahr ein  eigenes Theaterstück auf die Bühne gebracht, obwohl auch ein Paar „Neuzugänge“ unter den SchülerInnen dabei waren. Sie wussten, was sie wollten und wie das Theatermachen geht. Waren aber sehr aufgeschlossen und neugierig, was Carolines Arbeit angeht.

An dieser Stelle muss gesagt werden, dass es für das Gelingen dieses großen Unterfangens eine Schule benötigt, die mit all ihren Beteiligten die Größe und Bedeutung dieses Projektes versteht. Dass da ein halbes Jahr lang SchülerInnen mit Theater in Berührung kommen und davon in Beschlag genommen werden, dass sie viel Zeit aufwenden müssen, dass sie dafür aber auch viel bekommen: Das erstarkte Selbstbewusstsein macht die versäumten Mathematikstunden wieder wett. Und es gibt wohl kaum eine umfassendere Möglichkeit, sich mit einer bestimmten Problematik auseinander zu setzen, als sie tatsächlich auf einer Bühne zu spielen.

Die SchülerInnen im BG Seekirchen waren kreativ und sofort zu motivieren, wenn es ums Improvisieren und die Kreation von Material für unser Stück ging. Mit Improvisationsübungen  nach Keith Johnstone, körperlicher Rhythmusarbeit, Chorübungen und Basisspielvokabular nach Jacques Lecoq hat Caroline versucht ihre Fähigkeiten zu erweitern. Teilweise war die Konzentration ein großes Problem, da die SchülerInnen immer schon einen ganzen Schultag hinter sich hatten. Andererseits war Caroline sehr überrascht, wie „professionell“ das Ganze ablaufen konnte.

In den ersten Wochen wurden parallel einleitende Theater-Übungen gemacht und intensiv  sich mit dem Thema auseinander gesetzt. Es wurde improvisiert und die daraus entstandenen „besseren“ Szenen zu Papier gebracht; entweder in Gruppen oder alleine. Material wurde wiederholt, aufgenommen, analysiert und umgeschrieben, bis sich „glaubwürdige“ Szenen entwickelt hatten.

Auch im Computerraum schrieben die jungen Autoren eifrig an den Texten, inklusive „Live-Chats“, die auch ins Stück eingebaut wurden.

Da sich das erste Treffen mit den Nonntalern verzögerte, wurde eine Videobotschaft in die Stadt geschickt, auf die Retourvideobotschaft wurde dann mit Ungeduld gewartet. Die kam aber schließlich noch vor dem ersten realen Zusammentreffen an.

Apropos Video: In der ersten Phase hat Michael Uitz in beiden Schulen eine Einführung in die Film/Videowelt gemacht. Die Schüler waren begeistert, als sie die Möglichkeiten gesehen haben, wie das Medium Video in einem Theaterstück einzusetzen wäre. Digitale Welten auch auf der Bühne aufzumachen, hat alle SchülerInnen sehr fasziniert und es wurde beschlossen, dieses Medium in dem Stück fest zu verankern. Ideen kamen für Drehbücher und filmische Umsetzungsmöglichkeiten, die dann in der späteren Phase des Inszenierens eingebaut wurden. Auch besuchten wir das Theaterstück „Stones“ mit den Seekirchner SchülerInnen. Ein Theaterstück mit Medialem Inhalt. Danach wurde rege diskutiert über die Möglichkeiten Videokunst im Theaterbereich  zu integrieren.

Die SchülerInnen der 2B der NMS Nonntal haben mit Elisabeth und jeweils einer der drei Begleitlehrerinnen (Erika Peterleitner, Johanna Weitgasser, Eva Löchli) zunächst viel über „Cybermobbing“ diskutiert. Wobei eher das ursprüngliche Mobbing thematisiert wurde. Zwar haben die Jugendlichen auf Anfrage behauptet, dass sie (fast) alle bei Facebook registriert wären, tatsächlich hatten sie bis dahin aber noch keine wirklich großen Einblicke in soziale Netzwerke. Zumindest wissen sie gut über erfundene Identitäten und Verstellung Bescheid, denn nach ihren Namen gesucht haben wir kaum jemanden in dem Netzwerk gefunden.

Gründe für Mobbing („Extremhänseln“, „Dauerhänseln“ oder „Mopsen“ haben wir es eine Zeit lang genannt) wären: Aussehen, Streit, Armut („du bist arm und ein Sandler, weil du beim Hofer einkaufst“), Vorurteile, Ausländer, Bosnier gegen Serben, stark gegen schwach, Spaß („manche Menschen sind einfach nur verrückt“), Religion, jemanden ausnutzen, Tollpatschigkeit, Blähungen, Streber, Übergewicht, Stottern. Grundsätzlich „anders als das zu sein, was normal bezeichnet“.

Elisabeth hat mit den 2Blern viel an Körperlichkeit, am „neutralen Stand“, an den Qualitäten, die Stille, Konzentration und Genauigkeit ausmachen, gearbeitet. Die 23 waren manchmal kaum zu bändigen. Das hat sich aber mit der Zeit geändert: Dauerte es noch im Oktober beinah fünf Minuten, bis alle 23 ruhig und „neutral“ und ohne Bewegung oder Reden stehen konnten, waren sie im Februar auf Zuruf bereit den (gar nicht geliebten) neutralen Stand herzustellen.

Musikalisch wurde zuerst grundlegender Rhythmus-Unterricht in beiden Gruppen vorgenommen.  Notenwerte und Rhythmen wurden sprachlich an den vorhandenen Texten ausprobiert. Es wurde versucht, die instrumental-musikalischen Fähigkeiten und Talente der Schüler aufzugreifen. Schwierig gestaltete es sich jedoch, eine passende Gruppe von Musikern zusammenzustellen, die virtuos genug gewesen wäre, um aktives Musizieren innerhalb des Stücks umzusetzen. Neben einer kurzen Untermalung von Flöte und Waldhorn lag somit das Hauptaugenmerk auf dem „Cyber-DJ“ Nico, welcher unter Anleitung Sounds, Songs und Athmos mit einer Samplingsoftware quasi „live“ während des Stücks abspielte. Diese musikalische Komponente passte auch inhaltlich zum Thema und ließ sich daher ins Stück integrieren.

Viele grundlegende Theaterübungen und Spiele führten die Kinder schließlich zur eigentlichen Materie. Elisabeth erklärte, wie sich Situationen aufbauen, welche Fragen man zu Figuren stellen könne, welche „Theatergrundsätze“ es überhaupt gäbe. Dann konnten die Improvisationen beginnen. Situationen, die die SchülerInnen selber erlebt oder beobachtet hatten, die sie sich vorstellen können. Wir haben bewusst alles Persönliche oder Private ausgeklammert. Wer was wie erlebt hat, wissen nur die Autoren oder Erfinder der Szenen selber. Alles war Spiel und dabei entwickelten sich berührende, erschreckende und gewaltvolle Geschichten.

Aus diesem Sammelsurium an Ideen, Situationen, Geschichten, Dialogen (diese aufzuschreiben war für die SchülerInnen nicht die schönste Hausübung: „wir schreiben so viel in jedem Fach!“) hat Elisabeth dann die Texte herausgefiltert. Mit dem Ergebnis waren die jungen Autoren sehr zufrieden. Auch in Seekirchen war mittlerweile einiges an Material zusammengekommen, das ebenfalls seinen Weg in den großen Topf fand, aus dem dann das ehrgeizige gemeinsame Theaterstück entstehen sollte.

Über die Weihnachtsferien haben Caroline und Elisabeth dann beschlossen, aus dem gesamten eingelangten Material  eine geschlossene Geschichte über ein Mobbingopfer zusammen zu setzen. Die Ideen für die Biografie dieser Figur stammten von den SchülerInnen, wie auch ein Großteil der Szenen und Dialoge.

Nach Weihnachten dann das erste Zusammentreffen der Nonntaler und Seekirchner: im Rahmen eines Vortrages über Cybermobbing vom Salzburger Kommissar für Jugendkriminalität Johannes Göschl sollten sich die zwei unterschiedlichen SchülerInnengruppen kennenlernen. Ein Vorgang, der  von allen erwachsenen Projektbeteiligten als völlig einfach und logisch angesehen wurde. Natürlich war es schade, dass die erste Begegnung der zukünftigen SpielpartnerInnen erst so spät stattfand, aber aus bereits erwähnten logistischen Gründen war das tatsächlich die erste Möglichkeit. Die Seekirchner SchülerInnen fanden den Nachmittag gar nicht gelungen, den Nonntalern war es eher egal. Ihnen war wichtiger endlich das schon vor den Ferien angekündigte Stück kennenzulernen (Sie nannten es „Drehbuch“, „fall netz“, „das Buch, wie heißt es noch mal?“ oder „na das… halt!“), das wir auch wirklich an diesem Nachmittag gemeinsam mit „nur zur Leseprobe“ verteilten Rollen lesen wollten. Das haben wir auch gemacht, die Zeit war knapp, zum Ende der drei Schulstunden mussten die Seekirchner SchülerInnen pünktlich aufbrechen um ihren Zug zu erwischen und schließlich hatten wir zwar das Kennenlernen und unsere Leseprobe durchgeboxt, aber wirklich glücklich waren wir nicht damit. Und wie sich herausstellte, die SchülerInnen aus Seekirchen auch nicht.

Es wäre nicht „ihr“ Stück, hätte nichts mit ihnen zu tun (wiewohl die Geschichten, Szenen, Rollenbiografien von ihnen und den Nonntaler SchülerInnen kamen) und überhaupt wären sie es nicht gewohnt auf diese Art Theater zu machen, im Gegenteil, sie wüssten, wie „richtiges“ Theater funktioniere, nämlich auf Basis der Improvisation, außerdem sollte es ja lustig sein, und warum hätten „die Nonntaler“, die doch zum Teil nicht so gut Deutsch sprächen, auch so viel Text wie sie, warum wäre deren Schule so „dreckig“, und bei so einem Projekt wollten sie nicht mitmachen. Nach einigen Diskussionen, in denen Caroline und Elisabeth versuchten, den jungen, ehrgeizigen und für ihr Theater kämpferischen Menschen klarzumachen, dass es nicht die „eine gültige Art“ Theater zu machen gäbe, sondern dass Theater so vielschichtig ist, wie es Menschen gibt, die sich damit beschäftigen, und dass es doch eine Bereicherung wäre mit Profis auf eine andere, neue Art und Weise zu arbeiten, und dass das Stück erst am Tag der Premiere fertig sei, also durchaus noch verändert, daran gearbeitet werden könne, gingen alle Beteiligten gestärkt aus dieser Krise heraus:

Die Projektleiterinnen hatten erfahren, dass Jugendliche einen ungeheuren Kampfgeist erzeugen können, wenn etwas nicht in ihrem Sinne passiert, die Jugendlichen hatten erfahren, dass „Theater keine Demokratie“ (O-Ton Wolf Junger, der die Bühnenspielgruppe im BG Seekirchen leitet) wäre und das aber nichts grundsätzlich Schlechtes bedeutet (nach der letzten Vorstellung bedankte sich der scheinbar am meisten verletzte Redelsführer der Gruppe für die „wirklich schöne“ Arbeit und Zeit, und das war sehr ehrlich gemeint), außerdem  – nachdem sich alle SchülerInnen in der ersten intensiven Probenwoche endlich wirklich kennenlernen konnten – existierte der Stadt-Land- und Gymnasium-Hauptschule – Unterschied faktisch nicht mehr (es wurden Freundschaften geschlossen, die die jungen Beteiligten davor sicher nicht geahnt hatten) und in künstlerischer Hinsicht hatten wir auch einen Vorteil: die Bereicherung des Stückes „fall netz“ um die Moderatoren – Metaebene (Idee der Seekirchner) und – weil natürlich jede/r die Hauptfigur Moritz spielen wollte – der zur Kunstform erhobene „Moritz-Wechsel“: Neun SchülerInnen spielten die Hauptfigur, nachdem der eine genug hatte ein Opfer spielen zu müssen, kam der (oder die) Nächste dran.

Geprobt wurde weiterhin in den wöchentlichen Einheiten, SchülerInnen wurden aus der Stadt nach Seekirchen und umgekehrt zu Proben in die jeweiligen Schulen gebracht, die zwei intensiven Probenwochen (die erste Anfang Februar, da stießen auch endlich die anderen Künstler zu uns: Anne Buffetrille, zuständig für die Kostüme, und Axel Müller, der sich um die Musik im Stück gekümmert hat) im kleinen theater brachten uns mit großen Schritten näher zum Ziel:

Text lernen, Kostüme überlegen (lange und hitzige Diskussionen zu „Wie sieht ein Opfer aus? Wie ein Täter? Was haben Mamas an? Väter? Lehrerinnen?“), Kostüme kaufen („Müssen wir die selber bezahlen? – Nein, das macht Anne. – Muss die das alles bezahlen? – Nein, dafür haben wir ja Geld! – Müssen wir die Sachen dann immer anziehen? – Ja, das ist euer Kostüm! – Darf ich den Pullover behalten? – Naja… – Ich bezahl ihn auch! – Das überlegen wir uns dann hinterher! – Wo soll ich die Sachen hintun? – In dieses Penny-Markt-Sackerl, das habt ihr immer dabei und da ist immer alles drin! – Ich hab mein Penny-Markt-Sackerl verloren – Ich kann dir ein anderes geben. – Nein, alle haben doch ein Penny-Markt-Sackerl.“) , anprobieren, fotografieren, Videos drehen (Die Drehbücher dafür stammen von unseren „Technikern“ Raphael, Christian und Alex, die erst nicht auf die Bühne wollten), immer wieder Text lernen, Szenen ausdenken, sich inszenieren lassen, immer wieder wiederholen, die große Erfahrung von laut auf aber leise hinter der Bühne machen, nicht nur 45 Minuten sondern auch mal zwei Stunden mit Konzentration durchhalten, stehen, präsent sein, ernsthaft, stolz.

Wir trauen uns zu behaupten, dass hier etwas wirklich Großes gelungen ist: Sieben Monate lang haben sich 40 11-16jährige Kinder (Jugendliche) mittels Theater mit einem wichtigen und sehr aktuellen Thema beschäftigt. Ungefähr 700 Kinder und Jugendliche konnten das Ergebnis in den neun (eine Vorstellung in Seekirchen wurde mangels Anmeldungen mit einer anderen Vormittagsvorstellung zusammen gelegt) Vorstellungen sehen. Theater wurde für die SchülerInnen zu etwas „Normalem“, etwas, vor dem man sich nicht zu fürchten braucht. Allerdings werden sie jetzt die Arbeit der SchauspielerInnen, die sie auf Bühnen sehen werden, mit anderen Augen betrachten. Respekt haben vor dem, was auf der Bühne geschieht. Menschen haben einander kennengelernt, die sonst sicherlich nur schwer zu einander gefunden hätten. Die beteiligten LehrerInnen lernten völlig neue Arbeitsweisen kennen, die genau so funktionieren, auch wenn man nicht von vorneherein einen Arbeitsplan aufstellt, der abgearbeitet werden muss. Dass etwas erst am Tag der Premiere und nicht einmal dann fertig sein muss, weil im Theater nie etwas in dem Sinn „fertig“ ist, war ein gänzlich neuer Gedanke.

Eine schöne Arbeit.

www.machtschuletheater.at

www.kleinestheater.at

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